
Im Corona-Desaster. Wie geht es euch damit?
Ich habe seit dem letzten Post vor fast einem Jahr zigmal hier angesetzt und immer wieder abgebrochen. Erst gab es nichts zu berichten, dann plötzlich war es zu viel, dann war das Jahr zu Ende, die Urlaubsfotos zu viele und überhaupt einfach alles zu lange her. Und dann… ja, dann wurde alles anders.
Wir hatten keine Pläne geschmiedet wie so viele andere, nur vage Wünsche und Ideen, wir wollten auf jeden Fall wieder viel erleben. Jetzt sitzen wir daheim und warten. Auf irgendwas, das keiner in Worte fassen kann. Dass der Gatte wieder zur Arbeiten gehen kann – ihn trifft es natürlich besonders hart. Wir müssen uns zwar (noch?) keine Sorgen machen, auch nicht finanzieller Art, aber sein und damit auch unser Leben hat sich auf einmal komplett auf den Kopf gestellt. Er war seit fast zwanzig Jahren nicht mehr so beständig an einem Ort, die Kinder und ich kennen es nicht, ihn ständig um uns zu haben (was per se schön ist, aber mit seiner eingesperrten-Tiger-Mentalität manchmal auch zu Auszugswünschen – oder -forderungen allerseits führt).
Die Kinder stecken es prima weg, zu gut womöglich? Sie haben zwar gründlich die Nase voll vom Homeschooling, aber ansonsten scheinen sie nicht viel zu vermissen, die ollen Stubenhocker.
Inzwischen wurden die Vorgaben ziemlich gelockert, aber ich tue mir schwer, wieder ins „normale“ Leben zurückzufinden. Ich würde mich auch gerne daheim einigeln und nie wieder das Haus verlassen. Oder andersrum, das Haus verlassen durchaus, aber nicht mich in Gesellschaft begeben. Das war schon immer ein bisschen so, jetzt allerdings ist es ja salonfähig geworden und verführt mich geradezu. Wir machen uns große Sorgen um unsere Eltern, die in die Risikogruppe fallen, und wider aller Statistiken kennen wir doch ziemlich viele, die sich irgendwo angesteckt haben und haben auch Todesfälle im erweiterten Freundes-/Familienkreis mitbekommen. Das verunsichert mich wahnsinnig und ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich trage eine ständige Wut in mir, auf die Situation, die ganzen unsagbar dummen, egoistischen, irrationalen Menschen, die alle aus ihren Löchern zu kriechen scheinen und nicht zuletzt auch auf mich, weil ich diese Wut zulasse und nicht richtig loswerde. Ich will, dass alles wieder wie vorher ist und gleichzeitig habe ich Angst davor, dass alles wieder wie vorher ist.
Das wäre doch blöde, wir könnten gerade so wahnsinnig viel dazulernen und besser machen, aber ich sehe schon, dass das nichts wird und nur wieder den Kreis meiner Wut schließt. Tja. So sitze ich da, weiß nicht, wohin mit mir und blättere gerade durch alte Fotobücher, lese alte Blogeinträge und träume mich in andere Zeiten.














(kurz zusammengefasst, von oben nach unten, chronologisch rückwärts: Kurztrip nach London, mein vierzigster Geburtstag in den Bergen, am Abend davor Sonnenuntergang mit Blick auf den Oly-Turm im Lieblingshotel und zum Frühstück einen Mordskater, Sommerurlaub mit Segeln in Griechenland und der Türkei, gefolgt von einer kleinen Rundreise über den Gardasee nach Murano und Velden, davor Business-Superkurztrip nach New York und Berlin, meine Liebe – letzteres sogar noch zweimal, wenn ich mich richtig erinnere. War auch die letzte Station vor dem Corona-Lockdown.)
Die Jungs sind so groß geworden, ich muss ständig aufpassen, dass ich sie nicht versehentlich teenagermäßig bis ins Mark beleidige – auf keinen Fall darf man in der Öffentlichkeit etwas Intimes wie „Mach‘ dich bettfertig!“ sagen. Ich habe im Hinterkopf das dumpfe Gefühl, dass ich just mit diesem Satz auch schon wieder eine Grenze überschritten habe.
Man darf eigentlich gar nicht über sie sprechen, außer es geht um coole Taten, wie beim Zocken ein neues Level zu erreichen. Zwischendrin hatten sie das Lesen für sich entdeckt (weil ich ein Tablet-Verbot vor 17 Uhr verhängt hatte, also aus purer Langeweile, weil Rausgehen ja doof ist), das ist leider auch wieder passé, hat aber immerhin dem einen ein „Boah, Mama, du hast recht, Lesen IST voll cool.“ entlockt. Ich hoffe, ich kann sie wieder dazu bringen.
Es hagelt gerade nur so Zurechtweisungen für uns Eltern, weil wir uns ständig danebenbenehmen. Witze gehen gar nicht, schulbezogene Fragen verursachen Augenrollen und „Lass‘ mich!“, an den Zimmertüren hängen – mit UHU permanent *argh* hingeklebte – Schilder mit „Betreten verboten“ und „Nimand (sic) darf rein!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!“. Ich habe herbe Verluste bei hübschen Porzellanschüsseln erleiden müssen, weil sie alles in ihre Zimmer schleppen und dann versehentlich runterschmeißen (habe den Gatten übrigens auch im Verdacht – falls du das liest: ich werde dich noch zur Rechenschaft ziehen…).
Ich habe das eine Kind mehrfach durch Erschrecken (teilweise sogar mit Ansage) zum Weinen gebracht, was aber auch schon mit zwei Jahren passiert ist und wofür ich mich nicht schäme. Pfff. Dieses Zartbesaitete hat er nicht von mir.
„Chill mal, Mama!“ und erstmal grundsätzliches Neinsagen auf all meine Fragen ist auch häufig vertreten. Die Phase, in der der eine ständig schwindelte, scheint zumindest vorerst nach diversen Kontrollmaßnahmen vorüber zu sein – bisher habe ich ihnen in fast allen Bereichen rückhaltlos vertraut, das war wirklich gewöhnungsbedürftig (er hat, unter anderem, heimlich „Venom“ geschaut, aber immerhin bei den gruseligen Szenen vorgespult und wohl kein Trauma davongetragen).
Der andere ist so dermaßen kritikresistent, dass er mich damit regelmäßig in die Verzweiflung treibt. Dass ich ihm Ähnlichkeiten mit Trump unterstellt habe, hat es nicht gerade besser gemacht. Sein letztes Zeugnis war alles in allem gut, aber er hatte vom Lehrer in sozialen Bereichen Verbesserungsvorschläge bekommen (nicht reinquatschen, besser konzentrieren…); wir haben also das Zeugnis mit beiden durchgesprochen, der eine war völlig einsichtig, der andere hingegen wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Kritik. „Der Lehrer ist so blööööd, ich mache doch schon alles, der lügt, das stimmt gar nicht…“ Dicke Krokodilstränen. Und zum Schluss die Frage „Aber wie soll ich mich denn verbessern, wenn ich doch schon alles richtig mache?“. Das bringt seine Lebenssicht auf den Punkt: die anderen sind schuld, er macht grundsätzlich alles richtig und kann auch alles. Basta. Langsam geht mir auf, weshalb sein Bruder oft so explodiert, wenn sie streiten.





Ich habe kurzfristig meine Kreativität zurückbekommen, mein Makroobjektiv wieder herausgekramt, Teller probehalber bemalt und alles wieder abgewischt, Ton bestellt und beschlossen, dass ich für meine Ideen eine Töpferscheibe und einen Brennofen bräuchte (hier muss ich erwähnen, dass man das NICHT mit einem Pizzaofen machen kann, wie ich dachte, sich die Anschaffung des Selbigen aber in jedem Fall mehr lohnt als der eines echten Brennofens, weil die Pizza saumäßig gut wird – vielleicht liegt’s auch am von Perfektion besessenen Ehemann, der sich molto italiano (war das korrekt?) fühlt und bald das Singen anfangen wird… O sole mioooo), das Zeichnen wieder angefangen, die Küche gestrichen, Bilder aufgehängt, Möbel umgestellt und die Terrasse neu mit Holzplatten verlegt. Außerdem haben wir noch den Garten auf Vordermann gebracht (einen Zaun gebaut!!! Und halb gestrichen, habe zwischendrin anscheinend die Lust verloren – der Nachbar hatte recht, dass Zaunstreichen blöd ist).
Jetzt habe ich aber keinen Bock mehr. Auf gar nichts.
Wir können aber inzwischen auch tolle Radtouren durch die Stadt machen, ohne alle fünf Minuten Pause wegen „bitzelnden“ Händen oder „es juckt“ machen zu müssen. Wir haben sehr, sehr viele Eisdielen ausprobiert und diverse To-Go-Mahlzeiten auf Gehwegen am Boden sitzend genossen. Während sich ganz München an der Isar versammelt hat, hatten wir die leeren Straßen für uns.










Das Ganze war sehr surreal, aber ich vermisse es gerade tatsächlich.
Und, um das mal hier schriftlich festzuhalten, weil ich es sonst wieder vergesse: wir hatten einen unfassbar guten Frühling. Normalerweise zieht es sich für mich ab Mitte Januar wie Kaugummi und zu Ostern kriegt man mit Schneefall dann nochmal richtig eins drauf. Dieses Jahr aber war das Wetter wirklich fantastisch und sogar die Eisheiligen mit Regen bei 11 Grad erträglich und kurz.
Ein Faszinosum ist, dass die Tage so dahinrasen. Trotz Homeoffice, Homeschooling und immergleicher Eintönigkeit. Oder kommt das gerade daher? Ich hätte erwartet, dass die Zeit nicht vergeht und, zack, stehen wir vor den Pfingstferien. Geht es euch auch so?
Die Infiziertenzahlen gehen gerade ziemlich zurück, das Leben wird wieder aufgenommen und die Welt scheint nicht mehr den Atem anzuhalten. Ich bin gespannt, was die nächsten Monate bringen – und wie sich das hier dann liest. In einem meiner Blogpostentwürfe von Februar fühlte es sich noch nach Grippewelle an, mich beeindruckte mehr, dass die Jungs einen Tag schulfrei wegen eines Sturms hatten. Dass da unmittelbar Monate an Schulschließung folgen sollten, hätte ich in meinen kühnsten (dystopischen) Träumen nicht erwartet.
Traut ihr euch noch, Pläne zu machen oder seid ihr auch eher von der abwartenden, abwägenden Sorte?
Oh Mist. Ich stelle gerade fest, dass ich versehentlich das Theme hier geändert habe. Dann werde ich jetzt wohl mal daran weiterwurschteln. Macht es gut, passt auf euch auf!